Montag, 11. April 2005

Maßanzug

Es ist so weit. Eine abgeschlossene Sportlerkarriere und Jahrzehnte des Wohllebens haben dafür gesorgt, dass Stachanow nicht mehr in Anzüge von der Stange passt. Am Wochenende habe ich mir den ersten Maßanzug meines Lebens abgeholt.

Den habe ich bei einem Ausstatter machen lassen, der überwiegend Hochzeitsanzüge für, sagen wir mal, eine eher ländliche Zielgruppe anfertigt.

Dort gerade sehr en vogü: Anzüge mit Anklängen an die Gehröcke des 19. Jahrhunderts und Stehkragenhemden. Ich stand da also inmitten von in Gehröcke gestopften Schlossern und Maurern, die aussahen wie in Gehröcke gestopfte Schlosser und Maurer und, dem Ernst der Lage angepasst, grimmig dreinblickten. Daneben wartete eine Schar hysterisch schnatternder Gänse in Brautkleidern, deren Schleppenlänge jeder Fürstenhochzeit zur Ehre gereichen würde, auf die Anprobe.

Mein Anzug sitzt perfekt. Das Stöffchen Zegna, anthrazit mit kobaltblauem Nadelstreif. Die Konfektion made in Germany. Und, dank der Bündelungseffekte, die mein Schneider bei der Herstellung meines Anzugs mit diversen Gehröcken realisierte, kostete der ganze Spaß keine 500 Euro.

Es lebe das Landvolk. Nie mehr Anzüge von der Stange!

Montag, 4. April 2005

Meinungsvielfalt: Über Tote nur Gutes

Der Papst ist tot. Seit dem ersten Zitterich hatten die sendenden Kollegen gut zehn Jahre Zeit, in ihrem Archiv zu wühlen und am Nachruf zu basteln, zu schneiden und jedes kritische Wort herauszufeilen. Und nun senden sie den Mann ein zweites Mal zu Tode. Auf 30 Kanälen. Rund um die Uhr.

Bis auf die Underdogs. Die einzige Abwechslung am Wochenende gab es auf HSE und 9Live.

Wie schon nach dem 11. September ziehen die Kollegen dort ihr Programm unbeeindruckt durch. Mal sehen, wann sie auf HSE umkippen und auf die ersten Wojtyla-Devotionalien verticken. Oder auf 9live die ersten Bilderrätsel vollführen. Der linke Rosenkranz hat eine Perle mehr.

Ach, wegen des neuen Romankapitels: Ich habe am Wochenende nicht Papst geguckt, sondern am Haus renoviert und bin nicht zum Schreiben gekommen.

Montag, 28. März 2005

Dorfjugend, Kap. 4

Er hatte eine ganze Plattenseite und noch ein bisschen länger durchgehalten und lag nun zufrieden auf ihrem Bett. Langsam streichelte Carola seinen Arm und redete auf ihn ein. Aber Peter wollte jetzt nicht reden. Er malte sich viel lieber aus, wie er sie demnächst bei seinen Freunden einführen würde. Cool würde er über den Parkplatz staksen, die Spitzen der Cowboystiefel nach außen gestellt, wippend, federnd, leichte O-Beine. Im Schlepptau das Mädchen. Dann würde er die Tür aufreißen und rein, vorn an der Theke beim Franz zuerst zwei Kaffee bestellen und auf Zeit spielen. Schließlich kam man nicht jeden Tag mit einem neuen Mädchen an. Nach einer Weile würden die Jungs schon das übliche Riesen-Hallo anstimmen und die anzüglichen Bemerkungen krakeelen, vor denen sich die Mädchen ekelten. Dabei war das doch ein Zeichen von Wertschätzung, ein Begrüßungsritual sozusagen. Je ekelhafter die Sprüche, desto besser.

Später würden die Jung es sich zehnmal überlegen, etwas Dummes über sein Mädchen zu sagen. Ein einziges blödes Wort und man würde sich, wieder ein Ritual, unweigerlich draußen vor der Tür treffen und das Ganze mit den Fäusten austragen. Nur Feiglinge gingen nicht nach draußen. Drinnen schlägerte man nur in Ausnahmefällen und musste höllisch aufpassen, weil der Franz drinnen mit dem Stuhlbein dazwischenging, sobald die Gläser flogen. Deswegen hieß der Franz bei manchen auch Stuhlbein.

Komisch, dachte Peter, der Franz heißt Stuhlbein, aber den Schlund nennt keiner Schlumpf. Obwohl der sich nicht dagegen wehren könnte. Der Schlund hat keinen Spitznamen, ebenso wenig wie ich. Aber ich habe mich lange gegen die Semmel wehren müssen, mit dem Maul und, wenn das nichts half, mit den Fäusten. Beim Schlund kam keiner auf die Idee, ihn Schlumpf zu nennen. Nicht einmal nach dem gescheiterten Selbstmord neulich.

Weshalb der Bluna Bluna hieß, war unklar. Aber Bluna hatte auf dem Tank seiner 750er Kawa-Turbo einen Bluna-Aufkleber. Eine Weile hatte Peter gedacht, der Bluna würde deswegen so genannt, aber erst hieß der Bluna Bluna, dann kam der Aufkleber. Wie Bluna richtig hieß, wussten eigentlich nur die, die mit ihm aufgewachsen waren. Sogar sein eigner Vater nannte seinen Sohn Bluna. Das war schwer in Ordnung.

Schwer in Ordnung war für Peter auch, dass ihn alle Semmler nannten und kaum einer Peter. Peter war schlimm. Er vermutete schwer, dass seine Mutter ihn nach dem Peter Alexander so getauft hatte. Den sah sie gern im Fernsehen. Wenn er irgendwas dahersang, so einen Scheißdreck wie "Das waren nur die Beine von Dolores" stand sie am Bügelbrett, sang mit und wiegte kokett mit den breiten Hüften. Dazu schaute sie lächelnd in die Richtung von Peters Vater, der auf dem Sofa hockte und still sein Feierabendbier trank. War der Alte normal drauf, antwortete er mit einem Knurren. Aber mit dem richtigen Quantum Bier sang er zurück und zwinkerte läppisch mit den Augen. Heilige Scheiße, war das peinlich.

Peter schüttelte sich. Carola hörte auf, seinen Arm zu streicheln und fragte: Peter, was denkst du. Ach nichts, sagte er und wünschte sich, sie würde ihn einfach weiterstreicheln. Aber Carola schaute ihn immer noch fragend an. Sag was, Peter, sagte sie. Und weil ihm nichts anderes einfiel, fing er an, sie zu streicheln. Nach einer Weile fragte er sie, ob sie später noch mitginge, ins Kupferdächle.

Zu den Proleten, fragte sie. Ja, klar, sagte er. Sie sagte: Mensch Peter, du gehst doch aufs Gymi. Und er sagte: Was hat das damit zu tun. Weil sie ihm keine Antwort gab, fragte er nach einer Weile: Gehst du noch mit? Und sie sagte: Wenn’s denn sein muss und verdrehte dazu die Augen, wie es Mädchen tun, wenn sie keine Lust zu etwas haben. Da sagte er nichts mehr.

Und er hoffte, sie würde ihn bald Semmler nennen.

Sonntag, 27. März 2005

Über dieses Buch

Der Ort der Handlung ist autobiografisch. Und die Handlung selbst? Das ist mein erster Roman. Ich tue mir schwer mit der Fiktion. Ganz offensichtlich besitze ich nicht genügend Fantasie, um Geschichten zu erfinden, die auch nur im mindesten mit der Skurrilität der damals wirklich passierten Geschichten mithalten könnten. Die meisten Geschichten in diesem Buch sind passiert. Aber eben doch nicht ganz so, wie hier niedergeschrieben. Denn die Charaktere sind Fiktion. Ehrlich. Es hat keinen Zweck, mit diesem Buch die Käffer zwischen Ulm und Augsburg abzugrasen, um die Überlebenden zu finden oder die Toten auf den Friedhöfen. Wer aber über die Friedhöfe gehen will, sollte die Gräber derjenigen zählen, die Mitte der 60er geboren wurden und Mitte der 80er ihr Leben wieder ließen. Und wer das tut, der wird erkennen, dass ich in dem Buch nicht lüge.

Klappentext

Eine Dorfjugend, irgendwann Mitte der 80er Jahre, irgendwo im namenlosen Niemandsland zwischen Ulm und Augsburg. Es ist tatsächlich so. Die Landschaft dort hat keinen Namen. Mittelschwaben ist kein Name. Der Ort der Handlung ist autobiografisch. Aber es hätte genauso gut das Allgäu sein können oder Niederbayern oder ein Stück Unterfranken. Die Geschichten dieses Buches hätten in jedem Landstrich spielen können, der räumlich weiter als 30 Kilometer von einer Stadt entfernt ist und dadurch Lichtjahre im Geiste.

Das Leben der Burschen, die sich allabendlich im Kupferdächle treffen, kreist um Autos und Motorräder, Alkohol und Mädchen. Und um Freiheit.

Wobei Freiheit bloß ein anderer Name ist für Autos und Motorräder, Alkohol und Mädchen.

Dorfjugend, Kap. 3

Das Leben steckt voller Gefahren.

Dessen wurde sich Semmler Peter urplötzlich bewusst, als er mit Carola in ihrem Zimmer saß und aus einem Tee-Service aus unglasierter Terrakotta Tee mit Wildkirscharoma eingeschenkt bekam. In der Ecke stand der Sony-Turm. Zuhause hatte er nur eine Kompaktanlage von Schneider, aber er hatte ihr eine Musik-Cassette aufgenommen und Carola spielte sie ab. Immer einen Song lang knutschen, dann einen Song lang Tee trinken und reden. Das waren die Regeln von Carola. Peter mochte Carola.

Richtig verliebt war er nicht. Oder doch. Nicht in Carola, sondern in Ulrike aus seinem Abiturjahrgang. Aber Ulrike ging erstens nicht ins Kupferdächle oder später ins Tropical Dream, sondern ins Pane e Vino und dann ins Blue Moon. Und zweitens ging sie mit Stefan Hochstädter. Mit dem gehörte sie zur Karottenjeans- und V-Pullunder-Fraktion, im Winter trugen die allesamt den Ski-Anorak von Salewa in Feuerrot, während Peter zur Jeans-Bundeswehrparka-mit-herausgetrenntem-Schwarz-Rot-Gold-Schildchen-Clique gehörte. Neben diesen zwei großen Gruppen gab es an der Schule etliche mit Stoffhosen. Die wurden von allen links liegen gelassen und gingen dafür geschlossen in den Arbeitskreis EDV und den Physik-LK und lachten über Scherze, über die sonst keiner lachte. Zuletzt waren in der Abiturklasse etliche blasse Mädchen mit selbergestrickten Pullis und guten Noten und dazu zwei, drei Punkies, die keiner verstand, weil die Jungs absichtlich schwächlich rüberkommen wollten. Und dann gab es seit der Elften noch Jörn. Sein Vater war als Offizier aus Norddeutschland hierher an den Standort gekommen, und aus Protest gegen seinen Alten war Jörn auf jedem Kirchentag und ging mit lila Halstuch, Kaftan und Fusselbart zur Schule. Jörn knutschte mit der Heide aus der Elften und war also trotz lila Halstuch nicht schwul.

Während Peter mit Carola knutschte, dachte er an Jörn und die anderen in der Schule. Das tat er, um sich abzulenken und eben nicht zu versuchen, an Carola herumzufingern. Vorschnelles Fingern führte in der Regel dazu, dass man erst beschimpft wurde, dann rausflog und zuletzt bei den Freundinnen angeschwärzt wurde. Das war das dümmste, was einem passieren konnte. Hatte man es sich mit drei, vier Mädchencliquen erst einmal verschissen, nahmen die Chancen, in der näheren Umgebung zum Stich zu kommen, rapide ab. Das wusste Peter bereits seit einigen Jahren. Dann also lieber noch einmal ein halbes Stündchen warten.

Das Band hatten sie schon dreimal umgedreht. Allmählich stieg in Peter ein neuer Wunsch auf. Der Wildkirschtee suchte Auslass. Aber wenn er jetzt aufstünde und fragte, wo das Klo ist – würde das nicht seine Chancen zunichte machen? Mädchen waren da manchmal komisch. Dann lieber nochmals an die Schule denken. Oder noch besser: an die Kumpels aus dem Kupferdächle. Beim Biertrinken am Baggersee veranstalteten sie regelmäßig ein Weitschiffen. Meist gewann Uwe.

Carola stand auf. Muss mal aufs Klo, flüsterte sie, küsste ihn aufs Ohrläppchen und huschte aus dem Jugendzimmer, in dem Peter jetzt die Blicke über Stofftiere und Schwarz-Weiß-Poster von Reifen tragenden Bodybuildern mit Schlonz im Haar schweifen ließ und mit seinem Harndrang kämpfte. Und seiner Wut.

Denn jetzt war es ganz aus. Er würde ihr sagen müssen, dass er auch schiffen müsste, würde aufs Klo gehen und dort ihren Furz aufatmen müssen. Sie würde sich schämen und nicht mit ihm schlafen. So würde es kommen.

Oder noch schlimmer. Es dauerte eine Weile, ehe er die Spülung rauschen hörte. Sie war also beim Scheißen gewesen. Nie und nimmer würde Carola heute mit ihrem frisch verschissenen Arsch mit ihm schlafen. Nie und nimmer. Und wenn heute nicht, dann nie mehr. Und es war wichtig, über den Winter ein Mädchen zu haben. Im Sommer ging das besser mit den Mädchen, aber im Winter war es fast aussichtslos, eine neue aufzureißen.

Als Carola wiederkam, rappelte Peter sich auf. Muss auch mal, murmelte er und stolperte dann ungeschickt aus der Tür in die Richtung, aus der er das Rauschen gehört hatte. Dort ließ er es laufen und schnupperte in die Luft. Wie können Mädchen geruchlos scheißen, fragte er sich. Mädchen sind wie Elfen. Sie riechen immer gut und können geruchlos scheißen. Er dagegen roch die Schärfe des Urins und seinen Schweiß. Obwohl er sich doch vorher eigens geduscht hatte. Ausgiebig wusch er sich wenigstens die Hände.

Als er zurückkam ins Jugendzimmer, hatte Carola eine neue Platte aufgelegt und lag jetzt halb zugedeckt auf dem Bett. Du warst lang aus, sagte sie und Peter versuchte einen Scherz, indem er sagte, dein Tee treibt schlimmer als fünf Halbe Weizenbier. Aber jetzt komm her, sagte sie. Peter erkannte auf einmal die Musik, Julia von Pavlov’s Dog. Fickmusik. Er wusste: Sie wollte jetzt ficken. Sie sagte: Ich habe meine Tage. Der Tampon ist schon raus, vorhin, auf dem Klo. Mach schnell, sonst saut das alles ein. Und Peter war sehr dankbar, als er erkannte, dass Frauen auch schlecht riechen können und so unkompliziert wie Kumpels sein. Beinahe wenigstens.

Sonntag, 20. März 2005

Dorfjugend, Kap. 1 und 2

Werner Kasten hatte mit 18 schon schlechte Zähne. In den meisten seiner Backenzähne glänzten dicke Silberplomben, die ihm der Doktor Maier aus Westerheim gesetzt hatte. Vor einem Jahr, bei dem Diskoabend im Wasserburger Sportheim, war er im Suff beim Schiffen umgefallen und kopfüber in den Erlenbach hinein. Dabei war er mit dem Gesicht auf einen Stein geschlagen. Als er nass und halb erfroren wieder in die Gaststube des Sportheims tappte, der Batida-Charly hatte gerade Lady Starlight von den Scorpions aufgelegt und die Jungs, die noch stehen konnten, hielten ihre Mädchen eng umschlungen, hingen aus den Stümpfen seiner oberen Schneidezähne die Nervenenden heraus. Doktor Maier machte ihm ein Gebiss. Durch diese Geschichte wurde Werner Kasten in Wasserburg und Umgebung zur Legende.

Aber im Moment hatte Werner Kasten andere Sorgen. Warum er an seine Zähne dachte, wusste er nicht. Doch, als er mit der Zunge über das Gebiss rutschen wollte, fiel es ihm wieder ein. Er vermisste er die gewohnte Oberfläche aus Gold und Porzellan. Bestimmt waren seine falschen Zähne im Auto. Gut hundert Meter weit war er schon gekrochen, von dem Wrack, das da unten im Dunkeln lag, zurück auf die Straße. Er konnte die Autos schon gut hören, das Motorgeräusch und das Singen der Reifen auf der nassen Straße. Die letzten Nachtschwärmer kamen zurück aus dem Tropical Dream. Wenn er die steile Böschung schaffen würde, würde er bald im Krankenhaus sein und die Ärzte würden ihn wieder zusammenflicken und der Doktor Maier würde ihm ein neues Gebiss bauen und alles wäre wie immer. Scheiße. Schon zum dritten Mal rutschte er ab. Sein Bauch tat noch mehr weh als die ausgeschlagenen Eckzähne, an denen früher die Brücke gehangen hatte. Sisyphosarbeit würde dazu der siebengescheite Semmler Peter sagen. Der ging in der Kreisstadt auf das Gymnasium und spielte aber trotzdem mit in der A-Jugend des Fußballvereins, weil er ein Arbeiterkind war. Der Malerlehrling Kasten Werner Ausputzer, der Oberschulbub Semmler Peter Linksaußen. Werner Kasten würde über Sisyphos sagen: Den gestinkerten Griech kenne ich nicht, der hat mir noch kein Weizen gezahlt.

In dieser Nacht lernte Werner Kasten nicht nur den Sisyphos kennen, sondern auch den Kollegen Tantalos. Als man seine Leiche am nächsten morgen anderthalb Meter unterhalb der rettenden Straße fand, war die Erde in seiner Reichweite tief und blutig zerwühlt. Die Polizei verschwieg der verzweifelten Mutter die abgerissenen Nägel und dass an beiden Händen die ersten Glieder der Zeige- und Mittelfinger fehlten.

Die Beerdigung fand am 16. November 1984 statt. Der Sarg blieb zu.



Während Werner Kasten sein Leben aushauchte, regte sich in Susi Niedermeyers Bauch neues.

Sie hatte mit Marko Schlund geschlafen. Oder, wie er es seinen Kumpeln sagen würde: Er hatte sie gestopft. Susi mochte Marko. Er war sehnig, schlank und braungebrannt und im Sommer, im Freibad sahen die Hausfrauen der Susi und dem Marko immer ein wenig neidisch hinterher. Marko hatte wenig Pickel, aber bloß ein Mofa. Aber das machte nichts, denn bald würde er ausgelernt haben und sein Lehrherr würde ihn übernehmen. Schlosser beim Landmaschinen Hämmerle, das war die Aussicht auf mehr Geld, wenigstens nach dem Bund, und auf einen Urlaub. Vielleicht in Jugoslawien oder sogar am Gardasee.

Susi mochte es, wenn Marko mit ihr schlief. Er tat es zwar schnell, aber er war nicht grob. Und er fingerte sie sogar vorher ganz gern. Marko war besser im Bett als ihr Ex, der Spahnling Holger, genannt Hobel. Wegen Spahnling. Spahnling, Hobel, passt doch, guter Witz, ein Brüller. Der Hobel hatte seinen Kumpels über ihren Gesichtsausdruck beim Sex erzählt und ihr eine hineingehauen, als sie ihn einmal spaßeshalber beim Küssen leicht in die Zunge gebissen hatte. Und: Marko soff weniger als Hobel.

Wenigstens normalerweise. Heute nicht. Heute hatte sie es ihm gesagt, dass der Schwangerschaftstest positiv war. Marko war wortlos weggelaufen, erst zu den Schrebergärtnern in der Salatbar, wo das Halbe Lammbräu fünfzig Pfennig kostete. Um sechs, als das Kupferdächle öffnete, war es Zeit, mit vier Halbe im Leib die Salatbar und das blöde Geschwätz der alten Knacker, Flüchtlinge aus dem Sudetenland, hinter sich zu lassen.

Im Kupferdächle erklärte auf der Mattscheibe über der Theke Lee van Cleef gerade der Klapperschlange Kurt Russel, wie der Präsident zu retten sei, als Marko sein sechstes Pils leerte. Warsteiner. Schon etwas anderes als Lammbräu, aber der Geschmack des Bieres war nebensächlich. In Marko reifte ein Entschluss.

Ich bring mich um.

Zuerst murmelnd, dann lauter vor sich hersagend, dann schreiend: Ich bring mich um. Ich bring mich um. Ich bring mich um.

Franz, der Wirt sagte: He, Schlund, schrei hier nicht rum. Und der Hagner Erwin sagte: Lass ihn, er will sich umbringen. Ja, schrie der Schlund Marko, ja, ich bring mich um. Und der Wirt sagte: Jetzt schreit der schon wieder. Und der Seybold Harry fragte: Wie?

Da schwiegen alle. Was wie?

Ja, wie! Wie will er sich umbringen?
Da schrie der Schlund Marko: Ich fahre an den Baum!

Der Seybold Harry sagte: Du hast aber kein Auto. Meins kriegst Du nicht für so einen Scheiß. Jetzt lachten alle, sogar der Franz, der wegen des Geschreis schon um seine Gäste bangte, weil in letzter Zeit machte er einen auf seriös. Er hatte sich sogar einen Videorecorder angeschafft zur Unterhaltung seiner Gäste.

Es dauert eine Weile, dann brüllt der Schlund Marko triumphierend: Aber mein Mofa fährt 70! Und rennt aus der Gaststube. Der Hagner Erwin und der Seybold Harry, der Hobel, der blaue Klaus, der Semmler Peter, der Hofstätter Manne und noch ein paar, die hinten am Billard standen, alle rennen hinterher. Sogar Franz hört mit dem Abtrocknen der Warsteiner-Gläser auf, zuckt mit den Achseln und geht nach draußen. Dort haben sich inzwischen die Burschen im Halbrund neben der großen Birke aufgestellt. Am anderen Ende des Parkplatzes steht Marko in Position. Hobel schreit ihm zu: He, pass auf! Vor der Birke kommt ein Randstein!

Aber da hat der Schlund Marko das Zündapp-Mofa schon angekurbelt und den ersten Gang eingelegt. Zweiter Gang. Vollgas. Tränen laufen über sein Gesicht. Er wird es schaffen. An Susi denkt er nicht mehr. Ich werde es schaffen. Ich werde tot sein. Jawoll, im nächsten Moment werde ich tot sein.

Drüben sagt der Klaus Neller, der blaue Klaus, leise zu seinen Kumpeln: Kein Mensch kann sich mit einem Mofa totfahren, oder? Seybold Harry sagt laut: Das sehen wir jetzt gleich. Die anderen sagen nichts mehr.

Schlund rauscht näher. Das Vorderrad knallt gegen den Randstein. Im hohen Bogen fliegt er vom Mofa auf den Teer. Jetzt heult er, vor Schmerz und vor Wut, weil alle lachen. Und rennt mit gesenktem Kopf gegen den Baum. Einmal, zweimal, dreimal. Mittendrin in dem Spektakel rollt der Wiesner Michel auf dem Parkplatz, mit seinem Drei-Liter-Monza mit den 245er Rädern hinten dran und und 225ern vorne und fragt: Was ist denn hier los? Der Seybold Harry antwortet: Der Schlund bringt sich um. Da sagt der Wiesner: Jetzt ist aber Schluss, Schlund, sonst muss ich dir eine reinhauen.

Okay, sagt der.

Hobel drückt ihm ein Taschentuch auf seine Platzwunde. Alle gehen rein zum Flippern. Der Seybold Harry gibt dem Marko ein siebtes Pils aus, der kühlt seine aufgeschürften Handflächen am Bierglas und lächelt schon wieder. Der Wiesner Michel mit dem schwarzen Drei-Liter-Monza mit den 245er Rädern und dem John-Player-Specials-Aufkleber stellt am Pin-Bot mit über 13 Millionen einen neuen High-Score auf. Buck Rogers war trotzdem besser, meint er, während auf der Mattscheibe des Fernsehers die Klapperschlage sagt:

Mein Name ist Plissken.

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